Unternehmensnachfolge – steuerliche Besonderheiten bei Arztpraxen

Im Anschluss an die rechtlichen Besonderheiten bei der Unternehmensnachfolge von Arztpraxen wird nachstehend über steuerliche Fallstricke berichtet, die es zu beachten gilt. Es werden entsprechende Gestaltungsempfehlungen aufgezeigt. Hierbei wird zunächst anhand von Grundfällen eine Übersicht zur Orientierung im weiten Feld der Unternehmensnachfolge gegeben. Anschließend wird auf einen aktuellen Sonderfall eingegangen. Da die Nachfolge bei Ärzten fast ausschließlich entgeltlich geregelt wird, wird auf eine nähere Erörterung der aktuellen Entwicklungen im Rahmen des sog. Rentenerlasses verzichtet.

I. Erwerb und Veräußerung einer Einzelpraxis

Bei der Veräußerung einer Einzelpraxis übernimmt der Erwerber i.d.R. die Verbindlichkeiten der Praxis und zahlt zusätzlich einen Kaufpreis.

1. Veräußerer

Der veräußernde Arzt erzielt einen Veräußerungsgewinn i.H. der Differenz zwischen seinem Kapitalkonto laut Steuerbilanz und dem Kaufpreis. Ist der Arzt bereits 55 Jahre alt oder dauernd berufsunfähig, steht ihm ein Freibetrag i.H.v. 45000 € zu (§§ 18 Abs. 3, § 16 Abs. 4 EStG). Dieser reduziert sich allerdings um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn 136000 € übersteigt. Bei einem Veräußerungsgewinn ab 181000 € entfällt der Freibetrag somit gänzlich. Auf Tarifebene hat der ausscheidende Arzt zwei Möglichkeiten. Er kann zum einen von der sog. Vs-Regelung Gebrauch machen. Hiernach wird der Tarif so berechnet, als hätte der Veräußernde im Jahr des Ausscheidens lediglich Vs des Veräußerungsgewinnes erzielt (§ 34 Abs. 1 EStG). Die Tarifvergünstigung wirkt sich demzufolge aber nur aus, wenn sich der Arzt nicht auch schon ohne den Veräußerungsvorgang in der höchsten Tarifstufe befindet, sein Einkommen also nicht 52152 € bzw. 104304 € bei Zusammenveranlagung erreicht. Ist der Arzt 55 Jahre alt oder dauernd berufsunfähig, so steht ihm auf Antrag anstelle der Vs-Regelung der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG zu. Der ermäßigte Steuersatz beträgt 56% des durchschnittlichen Steuersatzes des Arztes, mindestens aber 15%.

Beispiel 1:
Der 60-jährige ledige Arzt R verkauft zum 31.12.2005 seine Praxis an seinen Nachfolger N und erzielt hierbei einen Veräußerungsgewinn von 150000 €. Sein übriges Einkommen im Veräußerungsjahr beträgt 120 000 €. Lösung: Nach Abzug des Freibetrages von 31 000 € (= 45 000 € – (150 000 € – 136 000 €)) verbleibt ein Veräußerungsgewinn von 119000 €. Mit einem Einkommen aus den laufenden Einkünften von 120 000 € befindet sich der Arzt auch ohne den Veräußerungsgewinn in der höchsten Tarifstufe, die Anwendung der Vs-Regelung führt also zu keiner Entlastung. Stellt der Arzt dagegen den Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes, so muss er auf den Veräußerungsgewinn statt der 42% (Höchststeuersatz) lediglich 22% zahlen (= 56% des durchschnittlichen Steuersatzes bei einem Einkommen von 239000 €).

2. Erwerber

Der Erwerber der Praxis hat i.H. des Kaufpreises Anschaffungskosten. Diese werden auf die Wirtschaftsgüter der Praxis bis zur Grenze der Teilwerte verteilt. Ein eventueller Restbetrag bildet einen entgeltlich erworbenen Praxiswert, der abzuschreiben ist. Die Abschreibungsdauer des Praxiswertes hängt vom Einzelfall ab. Die Finanzverwaltung akzeptiert Zeiträume zwischen drei und fünf Jahren (BMF, Schreiben v. 15.1.1995 – IV B 2 – S 2172 – 15/94, sj 0403 3263).

3. Veräußerung an mehrere Nachfolger

In dem Fall, dass an mehrere Nachfolger veräußert werden soll, ist Vorsicht geboten. Da die Tarifvergünstigungen voraussetzen, dass an einen einzigen Erwerber veräußert wird, kann die Begünstigung nur dadurch erreicht werden, dass die beiden Nachfolger zunächst eine GbR gründen und anschließend diese GbR die Praxis erwirbt. Bei der Veräußerung an ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) erfolgt die Übertragung auf einen Erwerber, die Tarifbegünstigungen können folglich in Anspruch genommen werden.

4. Sonderfall: Ratenzahlung

a) Veräußerer

Sofern der ausscheidende Arzt und der neu eintretende Ratenzahlung vereinbaren, hat der Veräußernde in einigen Fällen ein Wahlrecht zwischen der sofortigen Versteuerung und der Versteuerung im Zuflusszeitpunkt der Raten. Voraussetzung für dieses Wahlrecht ist, dass es sich entweder um eine Leibrente handelt oder aber die Raten länger als 10 Jahre zu zahlen sind und diese eindeutig der Versorgung des Veräußerers dienen. Bei der sofortigen Versteuerung erzielt der Arzt einen nach §§ 16, 34 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn. Anderenfalls hat er nachträgliche Einkünfte aus seiner selbstständigen Tätigkeit im Zuflusszeitpunkt (§ 18 i.Vm. § 24 Nr. 2 EStG), die nicht begünstigt sind. Wählt der Veräußernde die sofortige Besteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns, so gilt als Veräußerungspreis der versicherungsmathematische Kapitalwert. Veräußerungsgewinn ist die Differenz zum Kapitalkonto abzüglich eventueller Veräußerungskosten. Außerdem sind die wiederkehrenden Bezüge i.H. des darin enthaltenen Zins- bzw. Ertragsanteils steuerpflichtig. Wählt der Veräußernde die Besteuerung im Zuflusszeitpunkt, so ist der Tilgungsanteil der Raten zunächst mit dem Kapitalkonto zu verrechnen. Erst wenn dieses überschritten wird, ist der Tilgungsanteil voll und ohne Begünstigung zu versteuern. Der Zinsanteil ist mit dem jeweiligen Zufluss steuerpflichtig.

b) Erwerber

Der Erwerber kann unabhängig von der Wahl des Veräußerers nur den versicherungsmathematischen Barwert der Verpflichtungen ansetzen. In dieser Höhe hat er Anschaffungskosten, die in den Folgejahren zu Mehrabschreibungen führen. Der Zinsanteil der zu zahlenden Raten ist zum jeweiligen Abflusszeitpunkt als Betriebsausgabe anzusetzen.

5. Sondereffekte

Unabhängig davon, ob eine Ratenvereinbarung getroffen wird oder nicht, sind insbesondere im Hinblick auf die Vs-Regelung bestimmte Sondereffekte zu beachten. Wird z.B. nicht der 31.12. des Jahres als Veräußerungszeitpunkt, sondern der 1.1. des Folgejahres gewählt, kann der veräußernde Arzt i.d.R. von der Vs-Regelung profitieren, da er im Veräußerungsjahr keine (laufenden) Einkünfte aus seiner ärztlichen Tätigkeit mehr erzielt, also den Spitzensteuersatz ohne den Veräußerungsgewinn nicht erreichen würde. Da bei der Veräußerung der Praxis eine Bilanz zu erstellen ist, ist des Weiteren zu beachten, dass es bei der notwendigen Umstellung von der Überschussrechnung zur Bilanzierung oft zu nicht unerheblichen steuerlichen Effekten kommt. Da Ärzte i.d.R. über wesentlich höhere Forderungen als Verbindlichkeiten verfügen, kommt es meist zu einem steuerlichen Mehrergebnis. Hier kann es sich in bestimmten Konstellationen anbieten, durch freiwillige Bilanzierung auf den letzten Bilanzstichtag vor der Veräußerung diesen Effekt vorzuziehen.

II. Erwerb und Veräußerung eines (Teil-) Mitunternehmeranteils an einer Gemeinschaftspraxis

Die Veräußerung eines ganzen Mitunternehmeranteils an einer Gemeinschaftspraxis führt bei dem ausscheidenden Arzt zu einem Veräußerungsgewinn, für den grds. die gleichen Besonderheiten wie bei der Veräußerung einer Einzelpraxis gelten. Ab Vollendung des 55. Lebensjahres stehen ihm der Freibetrag und die Tarifbegünstigungen zu.

Der eintretende Arzt wird wie oben dargestellt die Anschaffungskosten aktivieren und in den Folgejahren abschreiben können, soweit diese Aktivierung abschreibungsfähige Wirtschaftsgüter betrifft.

Die Veräußerung eines Teil-Mitunternehmeranteils ist nicht begünstigt. Es ist dem ausscheidenden Arzt daher nicht möglich, zunächst noch als Mitunternehmer in der Praxis zu verbleiben und dem neu eintretenden Arzt die Hälfte seines Mitunternehmeranteils zu übertragen, wenn er von der Begünstigung profitieren möchte.

III. Einbringung in eine Gemeinschaftspraxis, Partnerschaft oder MVZ

Die Einbringung einer Arztpraxis in eine Gemeinschaftspraxis, Partnerschaft oder MVZ kann in der Regel ohne Aufdeckung der stillen Reserven nach dem UmwStG erfolgen. Möglich ist im Rahmen einer Einbringung nach dem UmwStG allerdings unter bestimmten Bedingungen auch eine Aufdeckung aller stillen Reserven unter anteiliger Inanspruchnahme der Tarifbegünstigungen. Da insoweit aber der betroffene Arzt seine Tätigkeit fortsetzt, also keine klassische Unternehmensnachfolge vorliegt, soll an dieser Stelle auf Ausführungen zu den einzelnen Punkten, die es hierbei zu beachten gibt (Stichworte: wesentliche Betriebsgrundlage, Ausgleichszahlungen und Sonderbetriebsvermögen), verzichtet werden.

IV. Erwerb und Veräußerung eines Praxisteils – Gestaltungsempfehlungen

Die Problematik, dass die Veräußerung eines Teil-Unternehmeranteils nicht begünstigt ist, führt bei Ärzten, die eine abrupte Übergabe der Praxis auch im Interesse des Vertrauensverhältnisses zu den Patienten vermeiden wollen, zu einem Dilemma. Eine Heranführung des Nachfolgers an die Patienten durch die Aufnahme als Mitunternehmer und die Fortführung der Tätigkeit des peu ä peu ausscheidenden Arztes ist auf den ersten Blick nur unter Verzicht auf die Steuervergünstigungen möglich.

Erfreulicherweise hat der BFH und anschließend auch die Finanzverwaltung die unbefriedigende steuerliche Situation der pensionswilligen Ärzte erkannt. Nunmehr werden Lösungen akzeptiert, die den sanften Übergang der Praxis und der Vertrauensverhältnisse auf den jungen Arzt ermöglichen, ohne dass der veräußernde Arzt auf die steuerlichen Privilegien verzichten muss. Hierbei sind vier Fallgruppen bereits ausdrücklich anerkannt. Eine fünfte Fallgruppe wird als weitere Gestaltungsempfehlung vorgestellt. Letztere hat nicht nur aufgrund eines kürzlich veröffentlichten BFH-Urteils (v. 4.11.2004 – IV R 17/03, sj 0504 1010) einen aktuellen Bezug, sondern veranschaulicht, wie die steuerlichen Tarifbegünstigungen, die eigentlich nur alternativ nutzbar sind, kumulativ genutzt werden können. Nachfolgend werden die möglichen klassischen Fallgruppen in einer kurzen Übersicht mit anschließenden zusätzlichen Gestaltungsempfehlungen dargestellt.

1. Fallgruppe „Nachfolger als Arbeitnehmer“

Der ausscheidende Arzt und sein Nachfolger haben die Möglichkeit, zunächst im Wege eines Anstellungsverhältnisses den jungen Arzt an die Patienten heranzuführen. Problem: Wirtschaftlich gewollt ist jedoch meist eine sofortige Beteiligung am Unternehmerrisiko, die auf diesem Wege nicht möglich ist.

2. Fallgruppe „Veräußerer als Arbeitnehmer“

Auch der umgekehrte Fall, dass der junge Arzt den pensionswilligen Arzt im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses beschäftigt, ist ein gangbarer Weg. Für Rspr. und Finanzverwaltung reicht die technische Umqualifizierung der Einkünfte von selbstständigen zu unselbstständigen aus. Obwohl die Tätigkeit des älteren Arztes für den Patienten nicht von der vorherigen zu unterscheiden ist, ist von einer vollständigen Praxisaufgabe auszugehen.

3. Fallgruppe „Veräußerer auf Namen und Rechnung des Erwerbers tätig“

Von Rspr. und Finanzverwaltung wird eine steuerbegünstigte Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit des veräußernden Arztes auch in den Fällen anerkannt, in denen der veräußernde Arzt zwar weiter in der Praxis tätig ist, die Tätigkeit aber im Namen und auf Rechnung des Erwerbers erfolgt. Eine solche Gestaltung bietet sich insbesondere bei einer Nachfolge in der Familie an.

4. Fallgruppe „Geringfügige Tätigkeit des Veräußerers“

Ferner hat der BFH eine Geringfügigkeitsgrenze entwickelt, die mittlerweile auch von der Finanzverwaltung umgesetzt wurde (H 147 EStR). Hiernach ist eine Fortführung der Tätigkeit des ausscheidenden Arztes dann unschädlich, wenn diese als geringfügig angesehen werden kann. Dies soll der Fall sein, wenn die auf die Altpatienten entfallenden Umsätze in den letzten drei Jahren weniger als 10% der gesamten Einnahmen ausmachten. Im Einzelnen ist allerdings vieles umstritten. So wird oft unklar sein, inwieweit nach Praxisveräußerung erbrachte Leistungen mit denen identisch sind, die in den letzten drei Jahren erbracht wurden. Ferner bleibt offen, ob die Finanzverwaltung von den letzten drei Jahren taggenau am Übertragungsstichtag oder von den letzten drei Kalenderjahren spricht. Diese Gestaltung bietet sich an, wenn der veräußernde Arzt auf freiberuflicher Basis und auf eigene Rechnung eine überschaubare Gruppe von Patienten weiterhin betreut (z.B. Hausbesuche bei älteren Patienten, weitere Behandlung einer Patientengruppe in einem Alten- und Pflegeheim oder die Fortsetzung einer konsiliarischen Tätigkeit).

5. Fallgruppe „Teilpraxisveräußerung“

In bestimmten Konstellationen kann es zu den obigen Vorgehensweisen einen alternativen Lösungsweg geben. Nach § 18 Abs. 3 EStG ist auch die Veräußerung einer Teilpraxis begünstigt. Bei der Bestimmung des Begriffes Teilpraxis wird auf den Begriff des Teilbetriebes i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG zurückgegriffen. Sofern die vorhandene Praxis bereits aus (mindestens) zwei Teilpraxen besteht oder sich aber entsprechend umgestalten lässt, bietet sich diese Lösung an. Zu beachten sind hierbei jedoch die Freibetragsregelung des § 16 EStG und die Tarifbegünstigungen des § 34 EStG.

a) Freibetrag nach §16 Abs. 4 EStG

Im Hinblick auf den Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG, der nur einmal im Leben gewährt wird, erweist sich die Vorveräußerung einer Teilpraxis als günstig, wenn eine Veräußerung der gesamten Praxis zu einem Veräußerungsgewinn von mehr als 136000 € führen würde, die jeweilige Veräußerung der Teilpraxen dagegen nicht. Andererseits kann ein nicht vollständig aufgebrauchter Freibetrag nach der ersten Veräußerung nicht i.H.d. nicht genutzten Teils bei der zweiten Veräußerung berücksichtigt werden.

Beispiel 2:
Der 60-jährige Arzt R möchte etwas kürzer treten. Da seine Praxis aus zwei Teilpraxen besteht, überlegt er, zunächst eine der Teilpraxen an seinen Nachfolger zu überlassen. Die Übergabe der zweiten Teilpraxis soll geregelt werden, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet hat. Variante a: Aus der Veräußerung der gesamten Praxis würde R einen Gewinn von insgesamt 250000 € erzielen, der sich gleichmäßig auf die Teilpraxen verteilt. Lösung: Veräußert R in diesem Fall zunächst eine der Teilpraxen, so steht ihm der Freibetrag i.H.v. 45 000 € komplett zu. Eine Veräußerung der gesamten Praxis würde dagegen den Freibetrag entfallen lassen (Gewinn über 181 000 €). Variante b: Aus der Veräußerung der gesamten Praxis würde ein Gewinn von 50000 € erzielt, der sich ebenfalls gleichmäßig auf die Teilpraxen verteilt. Lösung: Veräußert R in diesem Fall zunächst nur eine Teilpraxis, ist der Veräußerungsgewinn der ersten Teilpraxis aufgrund des Freibetrages zwar steuerfrei. Der nicht genutzte Teil des Freibetrages (20000 €) geht allerdings verloren, da er im Hinblick auf die zweite Teilpraxis nicht mehr nutzbar ist. Bei einer Veräußerung der gesamten Praxis in einem Vorgang könnte R dagegen den gesamten Freibetrag nutzen.

b) Tarifbegünstigung nach § 34 EStG

Bei den Tarifbegünstigungen des § 34 EStG ist zu beachten, dass die Begünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG nur einmal im Leben genutzt werden kann. Bei einer Aufteilung der Übergabe der Arztpraxis wird bei einer der beiden Veräußerungen die Begünstigung demnach nicht beantragt werden können. Andererseits kann die Aufteilung in Kombination mit der Vs-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG sinnvoll sein.

Beispiel 3:
Der 60-jährige Arzt R veräußert zunächst die größere Teilpraxis und macht hierbei von der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG Gebrauch. Wenn er nun in den Folgejahren durch die Beschränkung seiner Tätigkeit auf den kleinen Teilbetrieb nur noch ein Einkommen erzielt, das nicht mit dem Spitzensteuersatz besteuert wird, wird er bei der Veräußerung der verbleibenden Teilpraxis von der Vs-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG begünstigt.

c) Gesamtwürdigung der „Teilpraxisveräußerung“

Die Beispiele verdeutlichen, dass eine Praxis, die sich in zwei Teilpraxen aufteilen lässt, steuerlich äußerst attraktiv dasteht. Demzufolge wird ein Arzt, der seine ärztliche Tätigkeit nicht von heute auf morgen komplett einstellen möchte, versuchen, in seiner Praxis zwei Teilpraxen nebeneinander zu führen. Wann eine Teilpraxis vorliegt, ist allerdings äußerst umstritten. Da es zudem um meist sehr hohe Unterschiede in der Steuerbelastung geht, hatte der BFH bereits mehrmals die Gelegenheit, zu verschiedenen Fallkonstellationen Stellung zu nehmen. Bei der Geltendmachung von Vergünstigungen, die von dem Vorliegen der zwei Teilpraxen abhängen, sollte diese Rspr. bereits im Vorfeld berücksichtigt werden. Dies ermöglicht, die ggf. notwendigen Maßnahmen zu treffen, die zur Anerkennung einer Teilpraxis erforderlich sind. Nachfolgend wird eine aktuelle Entscheidung des BFH vorgestellt. Zum besseren Verständnis wurde der Fall hierzu auf die wesentlichen Fakten und Aussagen reduziert (vgl. auch Bericht zu: BFH, Urteil v. 4.11.2004 -IV R 17/03, sj 0507 0006).

d) BFH-Urteil vom 4.11.2004 – IV R 17/03

Der Arzt R war seit 1993 in seiner Praxis sowohl als Allgemeinmediziner als auch als Arbeitsmediziner in angemieteten Räumen tätig. 1997 veräußerte er „die von ihm geführte Arztpraxis“ an einen anderen Arzt, der in den Räumen die Praxis für Allgemeinmedizin fortführte. Der Erwerber trat in alle mit der Praxis zusammenhängenden Verträge (Miete, Personal, Telefon etc.) ein. Der Veräußerer war anschließend nur noch auf dem arbeitsmedizinischen Gebiet von eigenen Räumen aus tätig. Er hatte sich allerdings verschiedene Rechte im Übernahmevertrag vorbehalten. So durfte er vier Stunden pro Woche in den Räumen der veräußerten Praxis arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen, und die Patienten des R konnten diese Untersuchungen direkt bei der veräußerten Praxis anmelden. Des Weiteren durfte R tragbare Geräte vier Stunden im Monat für Betriebsuntersuchungen außerhalb der Praxis nutzen.

Wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten Nach ständiger Rspr. des BFH kann die erforderliche Selbstständigkeit der Praxisbereiche aber nur angenommen werden, wenn

sich die freiberufliche Arbeit auf wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit dazugehörigen unterschiedlichen Kunden-/Patienten-/Klienten-Kreisen erstreckt (1. Fallgruppe; nicht ausreichend ist insoweit z.B. die Aufteilung einer Zahnarztpraxis und eines angeschlossenen Dentallabors oder die Aufteilung in Kassen- und Privatpatienten) oder

die gleichartige Tätigkeit in voneinander getrennten örtlich abgegrenzten Bereichen ausgeübt wird (2. Fallgruppe; z.B. bei Niederlassungen in unterschiedlichen Städten, nicht dagegen bei einer lediglich 1 km entfernten Praxis im gleichen Ort).

Es ist einleuchtend, dass im zu entscheidenden Fall nur die 1. Fallgruppe in Betracht kommen konnte. Dazu führte der BFH aus, dass die beiden ärztlichen Tätigkeiten als Allgemeinmediziner und Betriebsarzt so unterschiedlich sind – insbesondere auch hinsichtlich des Patientenkreises und der ärztlichen Tätigkeit -, dass wesensmäßig zwei Praxisbereiche vorliegen können. Dies allein ist aber noch nicht ausreichend für das Vorliegen von Teilpraxen.

Organisatorische Geschlossenheit

Weitere Voraussetzung für die Annahme eines selbstständigen Praxisteils ist die jeweilige organisatorische und personelle Geschlossenheit der Tätigkeiten. Zu diesen Merkmalen zählen die getrennte Gewinnermittlung, der getrennte Einsatz von Personal in beiden Praxisbereichen, getrennte Räume für ärztliche Untersuchungen, ggf. unterschiedlicher Einsatz von medizinischen Geräten in den unterschiedlichen Praxisteilen. Interessant war hierbei auch der zeitliche Aspekt So reicht es dem BFH nicht, wenn nach der Veräußerung zwei organisatorisch geschlossene Praxisteile vorliegen. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Veräußerung. Im vorliegenden Fall hatte es der Arzt versäumt, die unterschiedlichen Tätigkeiten getrennt voneinander abzurechnen. Insoweit deutete der BFH an, dass ihm bereits diese getrennte Abrechnung als Nachweis der organisatorischen Trennung ausgereicht hätte. Andererseits, so der BFH, schließt eine einheitliche Abrechnung der unterschiedlichen Tätigkeiten nicht das Vorliegen von zwei Praxisteilen aus. Anhand von anderen Umständen ist in diesen Fällen allerdings die organisatorische Geschlossenheit der Teilpraxen aufzuzeigen. Als Beispiel nannte der BFH eine räumliche Trennung oder den Einsatz besonderen Personals bei einer der Tätigkeiten. Bei der räumlichen Trennung wies der BFH daraufhin, dass trotz der grds. auswärtigen Tätigkeit als Arbeitsmediziner die wöchentlich vierstündige Nutzung der Praxisräume für Untersuchungen gegen eine organisatorische Selbstständigkeit sprechen würde. Hätten Untersuchungen dagegen nur einmal im Monat stattgefunden, wäre dies als unschädlich anzusehen gewesen. Außerdem schloss der BFH aus der Tatsache, dass die Patienten des Arbeitsmediziners ihre Termine (weiterhin) über den alten Telefonanschluss machen konnten, dass das Personal des allgemeinmedizinischen Bereichs diese Anrufe entgegennehmen würde, also nicht komplett organisatorisch von dem arbeitsmedizinischen Bereich getrennt wurde.

Gestaltungskonsequenzen

Der vorgestellte Fall macht deutlich, dass es oft von medizinisch unbedeutenden organisatorischen Gegebenheiten abhängt, ob sich das Vorliegen einer Teilpraxis darlegen lässt. Hätte im vorliegenden Fall der veräußernde R seine Tätigkeit als Arbeitsmediziner getrennt abgerechnet, so hätte ihm dies bereits die Vergünstigungen der §§ 16 und 34 EStG beschert. Möglicherweise hätte es auch bereits ausgereicht, wenn er die Untersuchungen in den Praxisräumen auf einen Tag im Monat beschränkt hätte und seine Patienten ihre Termine direkt mit ihm und nicht mit dem Personal aus dem allgemeinmedizinischen Bereich abgestimmt hätten. Dies zeigt, dass in den Fällen, in denen der Arzt zwei voneinander trennbare Tätigkeiten ausübt und den Wunsch hat, eine fortzuführen, rechtzeitig die Beratung ansetzen muss, um die Voraussetzungen für das Vorliegen von zwei Praxisteilen zu schaffen.

V. Zusammenfassung

Die Unternehmensnachfolge bei Arztpraxen findet mangels Nachfolger im Familienkreis meist entgeltlich statt. Dies engt den Gestaltungsspielraum bei der Übergabe ein. Umso wichtiger ist es, die steuerlichen Vorteile im Bereich des Freibetrages und vor allem im Bereich des Steuertarifs zu nutzen. Hierbei gilt es, das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem veräußerungswilligen Arzt im Auge zu behalten. Nur ein sanfter Übergang auf den Nachfolger ermöglicht die Fortführung der mit dem Vertrauensverhältnis zusammenhängenden wertvollen Patientenbindung. Bestimmte Gestaltungsvarianten machen diesen sanften Übergang möglich, ohne dass auf die steuerlichen Begünstigungen verzichtet werden muss.

Die äußerst attraktiven Möglichkeiten bei Teilpraxen sollten bereits im Vorfeld der Unternehmensnachfolge beachtet werden. Wie der jüngst vom BFH entschiedene Fall zeigt, bedarf es in einigen Konstellationen nur unerheblicher organisatorischer Maßnahmen, um das Vorliegen von zwei Teilpraxen zu erreichen. Gerade bei Ärzten, die immer ein offenes Ohr für Steuergestaltungen haben, ist es sinnvoll, auf entsprechende Möglichkeiten hinzuweisen. Bei einer erfolgreichen Beantragung des (fast) hälftigen Steuersatzes wird der vorherige organisatorische Aufwand gerne hingenommen.

Bei Berücksichtigung der psychologischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und steuerlichen Aspekte und der aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten wird die Unternehmensnachfolge zur Zufriedenheit der beteiligten Ärzte und der Patienten erfolgreich durchgeführt werden können.

Bei Bedarf stehe ich Ihnen für ein Beratungsgespräch gerne zur Verfügung.

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Krischan TreydeKrischan Treyde (CV)
Rechtsanwalt
Steuerberater
Fachanwalt für Steuerrecht

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